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Recht auf informationelle Selbstbestimmung

15.12.2023

Zusammenfassung

Vierzig Jahre ist es bereits her, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als „Grundrecht des Datenschutzes“ kreierte. Wir blicken zurück auf das elementare Ereignis, das bis heute Bedeutung hat.

4 Minuten Lesezeit

15. Dezember – aber 40 Jahre zurück: 1983.

Das Bundesverfassungsgericht spricht – einstimmig – sein berühmtes „Volkszählungsurteil“. Selten hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts so tiefgreifende und weitreichende Wirkungen gezeitigt wie eben dieses. Es ist die verfassungsrechtliche Grundlage des Datenschutzrechts und zugleich der wichtigste Maßstab jeder weiteren Bewertung in der inzwischen alle Gesellschaftsbereiche erfassenden automatisierten Datenverarbeitung und in der Entwicklung der Digitalisierung.

Das Volkszählungsgesetz 1983 sah bei allen Bürgern eine weitreichende Datenerhebung vor, die durch ehrenamtliche Freiwillige vorgenommen wurde. Die dabei generierten statistischen Daten sollten vor allem der Planung, der Wissenschaft und auch einem Melderegisterabgleich dienen. Sämtliche staatlichen Institutionen sollten auf diese Weise die Grundlagen erhalten, um informiert und rational über politische Fragen entscheiden zu können.

Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Vielzahl – seinerzeit 1310 – von gegen dieses Gesetz erhobenen Verfassungsbeschwerden zum Anlass, den Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG weiter zu konkretisieren und bildete als neue Fallgruppe des Persönlichkeitsrechts eben das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Volkszählungsgesetz seinerzeit für verfassungswidrig, da dieses Gesetz ursprünglich vorsah, die für die Statistik erhobenen Daten (einfach) auch für Verwaltungszwecke zu nutzen. Letztlich war das Gesetz damit wegen der Unzulässigkeit der Zweckänderung verfassungswidrig. Dieser Fehler wurde im Anschluss beseitigt und die Volkszählung (im Jahre 1987) durchgeführt.

„Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.“ (Brigitte Zypries, ehemalige Justizministerin, in einem Interview mit dem Deutschlandradio 2007 zum Thema Vorratsdatenspeicherung)

– Na, ja! So ganz richtig wiedergegeben ist dieses Recht damit nicht:

Dieses Recht gibt nämlich dem einzelnen in erster Linie die Befugnis, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“, also grundsätzlich selbst darüber zu befinden, „wer was wann und bei welcher Gelegenheit“ über den einzelnen Bürger weiß. Auf diese Weise hat es der einzelne Bürger selbst in der Hand, über die Weitergabe seiner Daten zu entscheiden und sich auch entsprechend seiner Entscheidung zu verhalten. Kurz:

Die Grundrechtsinnovation zielt auf den Schutz vor fremdbestimmter Datenverarbeitung!

Insbesondere wenn die Datenverarbeitung mit von Computern und Netzen erfolgt, verfügen datenverarbeitende Stellen über eine technisch gestützte Macht, die leicht dazu (ver-)führen kann, dass die betroffene Person ihre Menschenwürde, ihre Entfaltungsfreiheit und ihre Selbstbestimmung verliert, weil diese Stellen „alles über sie wissen“ und sie nicht weiß was. So können eine ganze Reihe von Grundrechten beeinträchtigt werden: Etwa die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise die Verarbeitung von Daten zur Teilnahme an Demonstrationen gezeigt hat; aber auch etwa die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, der Schutz der Familie und der Wohnung oder die Brief- und Telekommunikationsfreiheit, die Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und die Freiheit der politischen Betätigung können in ihrer Ausübung durch personenbezogene Datenverarbeitung behindert werden.

„Datenschutz ist Machtkontrolle, Datenschutz ist Schutz des Individuums, Datenschutz ist Schutz der Freiheit, Datenschutz ist Schutz der informationellen Selbstbestimmung.“ (Rede des Bayerischen Datenschutzbeauftragten Dr. Karl Michael Betzl anlässlich der Amtsübernahme 2006)

Hintergrund dieser neuen rechtlichen Stoßrichtung ist, dass der Bürger prinzipiell selbst entscheidet, wann und wo er Daten hinterlässt. Und in den Fällen, in denen der Staat eben in die Lage versetzt werden muss, städtebauliche oder sonst wie ökonomische, soziale und politische Maßnahmen vorauszuplanen, sollte der Bürger eben wenigstens nicht unsicher darüber sein müssen, wann und bei welcher Gelegenheit Daten erhoben und die dabei gewonnenen Informationen gespeichert und verarbeitet werden. Denn sobald der Bürger hierüber unsicher ist, wird er im Zweifel bestimmte Verhaltensweisen „zur Sicherheit“ unterlassen und genau dies wäre jeder freiheitlichen Betätigung und damit einem Leben in Freiheit abträglich.

Dementsprechend setzt eine gegen den Willen des Bürgers vorgenommene Erhebung von Daten stets einen durch Gesetz präzise bestimmten und damit transparenten Verwendungszweck und weitere Schutzmechanismen wie das Verbot einer – gesetzlich nicht geregelten – Weitergabe oder Auskunfts- und Löschungspflichten voraus, damit der Bürger nicht zum „bloßen Informationsobjekt“ degeneriert.

In Zeiten zunehmender Digitalisierung sind Datenschutz und die Freiheit informationeller Selbstbestimmung jedoch kein nationales Phänomen, sondern grenzüberschreitend, wenn nicht sogar nahezu grenzenlos.

Nach Art. 7 und 8 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union existiert auch auf europäischer Ebene ein (inhaltlich praktisch identisches) Grundrecht auf Privatheit und ein Grundrecht auf Datenschutz. Ist heutzutage von „Datenschutz“ die Rede, so fällt – leider – kaum mehr der Begriff der informationellen Selbstbestimmung, sondern zumeist derjenige der „Datenschutz-Grundverordnung“. Diese setzt zwar sehr hohe Anforderungen und umfassende Rahmenbedingungen, die es in der Datenverarbeitung jeglicher Unternehmen zu erfüllen gilt, hat allerdings das Recht auf informationelle Selbstbestimmung keineswegs verdrängt, welches als – positives – Freiheitsrecht des Individuums und als Abwehrrecht gegen den Staat weiterhin Anwendung findet.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist (nicht) tot, lang lebe das Recht auf informationelle Selbstbestimmung!

Autoren: Michael und Christian Wehowsky

Michael Wehowsky

Über den Autor - Datenschutzbeauftragter Michael Wehowsky

Herr Michael Wehowsky ist zertifizierter Datenschutzbeauftragter (udis) und zertifizierter Berater im Datenschutzrecht (FernUniversität Hagen). Darüberhinaus ist er Certified Information Privacy Professional Europe (CIPP/E) und Certified Information Privacy Technologist (CIPT), jeweils durch die iapp. - In seiner Funktion als Teil des Beratungsteams unterstützt er Unternehmen verschiedenster Ausrichtung und Größe im Datenschutz in deutscher, englischer und italienischer Sprache.

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