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Gefunden: Ich habe wirklich nichts zu verbergen

07.01.2009

Im Gulli-Forum schreibt jemand ernsthaft (also kein Troll) warum er “nichts zu verbergen hat. Absolut lesenswert um zu verstehen, was in manchen vorgeht. Dabei findet man die üblichen fehlerhaften Vorstellungen, die eindeutig transportieren, dass er sich nicht mit sich selbst beschäftigt hat:

Wenn ich durch irgendeine Innenstadt gehe und weiß, dass ich jederzeit irgendwo auf einem Monitor zu sehen bin, dann ist mir das schlicht und ergreifend egal.

Solange man davon ausgeht (das Argument vertrete ich ja selber), dass man “in der Menschenmasse” quasi untergeht, also nicht als Individuum konsequent verfolgt wird, ist das glaubhaft. Selbst wenn er aber wirklich keine Probleme damit hat beobachtet zu werden, so ist dies letztlich kein Argument, deswegen alle anderen zu beobachten. Dazu am Ende aber noch was.

Für mich ist das nunmal ein öffentlicher Platz an dem ich mich bewege, ob mich da nun die Menschen sehen, an denen ich vorbei gehe oder irgendjemand auf einem Monitor, das ist mir völlig egal […]

Fehler: Es geht eben nicht darum, dass beobachtet wird, sondern dass auch gespeichert wird. Wer an einem Parkplatz im Häuschen sitzt und beobachtet, kann nicht 7 Tage später noch feststellen, welcher Besucher des Parkplatzes evt. ein Taschentuch auf den Boden geworfen hat. Das ganz große Problem bei Kameras ist nicht die einfache Beobachtung mit einer Kamera, die quasi einen “Wächter” ersetzt, sondern es sind die vielen günstig zu installierenden Kameras, die alles auf unbestimmte Zeit speichern können und die Unsicherheit die sie beim Bürger hervorrufen. Gerade deswegen fordern ja ausgerechnet viele Bürgerrechtler in diesen Zeiten, dass die Polizei verstärkt auf persönliche Präsenz setzt und auf Kameras verzichtet. Es geht also nicht nur um “weniger Staat” sondern vor allem um die Form, also das “wie”.
Besorgt sind Bürger aber in der Tat nur dann, wenn sie über diesen Umstand (viele Kameras können jede Bagatelle im nachhinein nachvollziehen) nachdenken – wer das nicht tut, hat keine Sorgen, er ist unbedarft. Somit kann man ja auch Bürgerrechtlern, die das Nachdenken fördern, vorwerfen dass sie Angst schüren.

Mir fällt spontan keine Situation ein, in der mich die Videoüberwachung auf einem offenen Platz negativ beinträchtigen würde.

Solche Menschen mag es geben und das hat man auch zu akzeptieren. Das Problem ist nur, dass hier zwischen den Zeilen behauptet wird, es gäbe kein Missbrauchspotential. Spätestens seit Fr. Z aber sollte das geklärt sein. Nur wer in die Unfehlbarkeit der Behörden Vertrauen hat, kann diesen Punkt vertreten.

Interessant ist auch der Versuch, das Schlafzimmer-Beispiel zu negieren:

Wenn du das Schlafzimmerbeispiel anbringst oder eben sagst, dass das nur der Anfang ist, sagst du eigentlich indirekt, dass das ja alles noch nicht schlimm ist.

Ebenfalls falsch: Wenn ich das Schlafzimmer-Beispiel anbringe, versuche ich das was ich momentan als Rechtswidrig einstufe, noch zu potenzieren, damit mein abgestumpfter Gegenüber begreift, worum es hier wirklich geht. Keinesfalls sage ich (anders als der Schreiber hier, siehe unten!) dass die umfassende öffentliche Überwachung für mich OK ist, nur weil ich es nochmals potenziere in einem Beispiel. Und bevor sich nun jemand beschwert: Weiterlesen. Das Wort “abgestumpft” habe ich nicht ohne Grund genutzt, wie sich nun zeigt, wenn man dieses Zitat liest:

Man könnte sagen, dass ich meine Privatsphäre in dem Moment aufgebe, indem ich mich an einen offenen Platz begebe, dafür spielt es keine Rolle, ob da eine Kamera ist oder nicht.

Nein, das könnte man ganz bestimmt nicht sagen. Ich gebe meine Privatsphäre sicherlich nirgendwo auf – und der Schreiber selbst wäre auf einem öffentlichen Platz sicherlich nicht begeistert, wenn ich ihn von hinten anfalle und betatsche. Oder ihm aus den Taschen persönliche Dinge (ohne Zueignungsabsicht!) entwende, durchblättere und ihm dann zurückgebe.
Was er meint ist vielmehr, dass wir in der Öffentlichkeit – und das ist klar – mehr Eingriffe in unsere Persönlichkeitsrechte (“Privatsphäre”) dulden müssen, als in unserem Schlafzimmer. Die Tatsache, dass er “mehr Eingriffe” mit einem “völligen Aufgeben” nicht nur verwechselt, sondern auch noch glaubt dass dies in unserem Staat längst stattfindet und das auch noch normal findet, spricht Bände.

Wichtig aber ist das hier:

Und ich war wirklich etwas überrascht, wie wenig ich seine Gedankengänge nachvollziehen konnte. […] Eine andere Meinung zu akzeptieren, ohne denjenigen bekehren zu wollen oder seine Meinung durch Angriffe auf seine Integrität als Dummheit oder Ähnliches zu bezeichnen, sollte eigentlich auch mal drin sein.

Eben darum geht es nämlich: Wenn jemand wirklich kein Problem damit hat (wobei es heute leider nunmal ständig so ist, dass Befürworter sich schnell mit manchem falschen Verständnis outen – Kritiker aber auch), ist es sein Recht, dies zu vertreten. Nur weil er es so sieht, ist er noch lange nicht Dumm, auch damit hat er Recht; Trotzdem, vor allem in einer Diskussion die unser aller zukünftiges Leben betrifft, muss man damit Leben, dass man argumentativ zerlegt wird, wenn man (eigenes Argument) mit seiner Sichtweise in die Öffentlichkeit tritt. Wer das nicht mag, muss im Schlafzimmer in sein Tagebuch schreiben. Gerade weil es um die Form unseres zukünftigen Alltags geht, ist es daher wichtig, dass wir unsere Argumente austauschen und weitergeben – wer in Kenntnis der Fakten immer noch dafür ist, hat eine stärkere Position als derjenige, der mit übereilten Argumenten Kameras an jeder Straßenecke aufbaut.

Wenn Befürworter aber gar nicht mehr Argumente suchen, sondern behaupte es wäre ihnen egal (was ich bezweifle, denn jemand dem es egal ist, der schreibt nicht einen solchen Post, der eindeutig contra Kritiker, also pro, ist). Auch ist es fehlerhaft, mit einer “egal” position ein “pro” zu erarbeiten, was er wohl tut. Wer sagt, es ist ihm egal, der darf weder pro noch contra suchen – andernfalls behauptet er nur, dass es ihm “egal” wäre. Ich sehe aber gerade die Gefahr, dass viele mit einem “egal” in Wirklichkeit Befürworter sind, und das ohne es selber zu merken. Das merkt man dann auch bei ihm selber, denn wer sowas schreibt

Ob ich das Maß an Überwachung für sinnvoll halte? Nein, absolut nicht, es ging immer schon ohne diese Überwachung, warum sollte es plötzlich dringend nötig sein. Das ist einfach nur mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Ob es mich stört? Nein, auch absolut nicht.

der zeigt, dass er ganz dringend Aufholbedarf hat. Hier sind wir an dem Punkt, dass ein Bürger offen sagt, dass der Staat unverhältnismässig agiert (also gegen die grundgesetzlichen Vorgaben verstösst, denn das Verhältnismässigkeitsprinzip ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips). Der Bürger aber sagt, es ist ihm egal. Und zieht den logischen Schluss:

Und ich sehe nunmal keinen Sinn darin meine Energie in eine Sache zu investieren, die mich einfach überhaupt nicht stört.

Genau: Warum sollten wir, wenn wir feststellen dass der Staat (wieder) gegen Grundrechte und Rechtsstaatsprinzipen verstösst, Energie darin investieren, ihn in seine Schranken zu weisen? Muss uns ja nicht stören.

Hinweis: Zum Thema “Nichts zu verbergen” auch diesen Post und diesen Post beachten.

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8 Kommentare zu diesem Beitrag:

Sven

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Sozialisten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialist.
Als sie die Juden einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ [Martin Niemöller]

Definitv in diesem Zusammenhang überzogen. Aber es zeigt mMn sehr bildhaft, wie Grenzen immer weiter verschoben werden bis sie irreversibel sind und wenn das sprichwörtliche Kind erstmal im Brunnen liegt...

(Wobei, mit BKA-Gesetz & Co. haben wir uns eigentlich von der Brunnenkante schon abgestoßen!)

Florian

Besonders wenn man liest, dass die Videoüberwachung in Großbritannien kaum wertvolle Ergebnisse bringt, stellt sich die Frage, warum das Geld nicht lieber in andere, sinnvolle Präventivmaßnahmen gesteckt wird.

Weil man der Meinung ist, dass 10 Kameras, die von einem Polizisten beobachtet werden, so viel bringen wie 10 Polizisten vor Ort - und man glaubt, dass 10 Polizisten vor Ort teurer sind als 10 Kameras (was ebenfalls eine Milchmädchenrechnung ist)

Konstantin

Der Staat ist eben nicht - wie die Überwachungsbefürworter oft gerne suggerieren - eine abstrahierbare, neutrale Kraft. Er wird geleitet und nimmt Gestalt durch die Menschen, die für ihn handeln.
Wenn diese Menschen alle Bürgerinnen und Bürger umfassend überwachen, feststellen können, was der einzelne genau gemacht, mit wem er sich wann und wo getroffen, mit wem er telefoniert und gechattet hat, welches Buch angeschafft, welcher Film geguckt und welches Produkt gekauft wurde, dann fällt ihnen, diesen fehlbaren, korrumpierbaren, eitlen und Eigeninteressen verfolgenden Menschen eine quasi gottgleiche Rolle zu. Wer das für ein kalkulierbares oder vertretbares Risiko hält ist naiv.

Die Thea

Wenn wir alle Maßnahmen zusammen betrachten und Konsequenzen daraus genauer betrachten gibt es niemander der nicht etwas zu verbergen haben sollte.
Überwachung ist ja eine Wirksame Methode um das Volk zu steuern. Ist erst erfasst wieviele Schokoriegel jeder kauft, stehen wir irgendwann an der Supermarktkasse, werden zurückgewiesen. "Das ist jetzt schon die 12. Tafel dieses Jahr und ihr Kontingent an Fettkalorien ist auch schon aufgebraucht, also Möhren darf ich ihnen verkaufen". Ach und die Kondome, wollen Sie die mit Ihrer Frau benutzen? Sie sollten wirklich mal über Kinder nachdenken. Wenn die jedoch für den Gebrauch mit Frau X sind - bitte dran denken, der rfid registriert die Benutzer und wird beim leeren der Mülltonne ausgelesen."

Könnte mir noch so ein Abwasseranalysetool vostellen, womit Krankheiten oder Schwangerschaften als Alert gleich an alle wichtigen Interessenten gehen - Krankenkassen, Versicherungen, Kommunalverwaltung, Bestattungsinstitut.

Susanne R.

Sich dem Unbewussten bewusst zu machen ist die Kunst. Dies spricht besonders für diese Diskussion. Es geht nicht darum, was momentan für Auswirkungen für zu hoher Transparenz folgen, sondern was auch zukünftig eine enorme Rolle spielen wird.

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