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Datenschutz-Aufsicht Niedersachsen: “Ich habe in meiner Amtszeit keinerlei Druck von außen erlebt”

01.03.2011

Am 9. März 2010 hat der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vertragsverletzungsverfahren (C-518/07) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland fehlerhaft die Datenschutzrichtlinie (95/46/EG) umgesetzt hat.

Ausgangspunkt des Streits ist Artikel 28 Abs. 1  Satz 2 der Datenschutzrichtlinie nach welchem die Kontrollstellen, also auch die Landesbeauftragten für den Datenschutz, „die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit“ wahrnehmen.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die Unabhängigkeit der Datenschutzkontrolle über die nichtöffentlichen Stellen in Deutschland nicht den Vorgaben der Richtlinie entsprechend gewährleistet ist.

Das Urteil sorgte in den Bundesländern für anpassende Gesetzgebungsaktivitäten, die bis heute fortdauern.

Herr Michael Stolze LL.M. LL.M. hatte für das IITR die Gelegenheit, Joachim Wahlbrink, den niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD), anlässlich der noch laufenden praktischen Umsetzung dieses Urteils in Hannover zu interviewen.

IITR: Herr Wahlbrink, der Gerichtshof stellte fest, dass die Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich in Deutschland nicht völlig unabhängig gewesen ist. Fühlten Sie sich vor dieser Entscheidung „abhängig“?

LfD: Ich habe in meiner Amtszeit keinerlei Druck von außen erlebt; auch nicht von der politischen Seite. Es kommt aber in solchen Fragen, das sind ja Organisationsfragen, nicht darauf an, was jetzt gerade in der letzten Zeit passiert ist, sondern es kommt darauf an, was passieren kann.

 

IITR: War Ihnen vor der Entscheidung die juristische Problematik bekannt?

LfD: Das Verfahren hat einen sehr langen Vorlauf gehabt. Der Beginn liegt sechs, acht Jahre zurück. Deswegen war die Problematik auch bekannt, ebenso die Argumentationslinien, die dem Gericht vorgetragen worden waren.

 

IITR: Wurde das Verfahren auch unter den Kollegen besprochen? Hier im Haus oder auf der Ebene der Landesbeauftragten?

LfD: Überall.

 

IITR: Kann man den LfD nach der Gerichtsentscheidung nun als ein kleines „Ministerium für den Datenschutz“ bezeichnen?

LfD: Ja, das kann man so sagen. Die bisherige Geschäftsstelle wird eine oberste Landesbehörde, die einen eigenständigen Aufgabenkreis hat. Sie ist, wenn man es genau nimmt, eher mit dem Rechnungshof der Länder oder des Bundes zu vergleichen, weil sie Prüfungsaufgaben als Schwerpunkt hat.

 

IITR: Wie bewerten Sie die Entscheidung?

LfD: Der Freiraum ist natürlich positiv zu bewerten, und die Rechtssicherheit für die Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten ist dadurch auch enorm gestiegen. Es hat aber auch organisatorische Nachteile. Wir sind gerade dabei, das abzuarbeiten. Die Entscheidung selbst kam eigentlich etwas überraschend, weil  die Vorentwicklungen, die sich da abzeichneten, eher in die andere Richtung gingen. Im europäischen Gerichtshofverfahren gibt es ja vor der Entscheidung eine Stellungnahme des Generalanwaltes, der dem Gericht einen Entscheidungsvorschlag macht. Dieser sah genau andersherum aus. Er war zwar nicht gut begründet, aber statistisch folgt das Gericht meistens dem Generalanwalt. Dieses Mal geschah dies ausnahmsweise nicht. Das Gericht wird sich also schon etwas Besonderes ausgedacht haben, um das zu rechtfertigen.

 

IITR: Sie sagten gerade „nicht gut begründet“, wie überzeugend finden Sie die Entscheidungsgründe des Gerichtshof?

LfD: Es ist aus deutscher Sicht immer schwierig, EuGH-Urteile zu beurteilen oder zu bewerten, weil der EuGH sich in erster Linie nach französischem Prozessrecht richtet und eine ganz andere Art und Weise hat, zu begründen und zu entscheiden. Das geht nicht so ganz stringent wie nach deutschem Muster. Es werden verschiedene Belange angeführt, die dann gebündelt, abgewogen und erörtert zu einer Entscheidung geführt werden. Dies ist für uns immer ungewohnt, aber das gilt nicht nur für diese, sondern für alle EuGH-Entscheidungen.

 

IITR: Kommen wir zu den praktischen Aspekten der Umsetzung. Auf welchen Ebenen vollzieht sich dieser Unabhängigkeitsprozess? Wie war die vorherige Situation und wo bewegt sie sich jetzt hin?

LfD: Bisher war es so, dass diese Datenschutzbehörde zum Teil unabhängig war und zum Teil weisungsabhängig. Die Unabhängigkeit betraf die Kontrolle des öffentlichen Bereichs, und die Weisungsgebundenheit betraf die behördliche Tätigkeit gegenüber Betrieben und Bürgern. Jetzt wird aus diesem Zwitter, der bisher dort bestand, eine eigene quasi wie ein Rechnungshof organisierte Behörde, die personalautonom ist, einen eigenen Haushaltsplan bekommt, die einen eigenen Personalrat benötigt und einen eigenen Datenschutzbeauftragten. Also die Vollausstattung einer normalen niedersächsischen Behörde.

 

IITR: Gibt es Auswirkungen auf Ihre Mitarbeiter?

LfD: Veränderungen haben immer ihre beiden Seiten. Es zeichnen sich einige organisatorisch-strukturelle Veränderungen im Arbeitsalltag ab, die aber kein besonderes Problem darstellen. Aber es gibt rechtliche Merkwürdigkeiten. Zum Beispiel werden die bisherigen Mitarbeiter im Datenschutz jetzt per Gesetz auf die neue Behörde verlagert. Das heißt also, dass im Gesetz steht: ,,Die bisherigen Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Landesbeauftragten für den Datenschutz werden versetzt“. Punkt! Da wird niemand gefragt, ob er das will. Da wird auch kein Personalrat gefragt, was er davon hält. Das steht im Gesetz. Und das ist auch nicht unbedingt schön.

 

IITR: Muss nun auch die komplette technische Ausstattung neu angeschafft werden?

LfD: Nur in geringem Umfang, weil wir zum Beispiel bereits seit vielen Jahren über eigene Server und sonstige IT-Ausstattung verfügen. Wir haben noch ein Problem mit der technischen Versorgung. Wir waren ja bisher Teil des Innenministeriums mit dem Postservice, dem Gebäudemanagement, der Personalverwaltung, dem Zeitungsservice und einigen anderen Diensten, die eine Verwaltung benötigt. Diese Dienste müssen wir uns jetzt selbst organisieren. Wir wissen aber noch nicht, welche Behörde wir dafür in Anspruch nehmen. Vorgesehen ist in dem Gesetzentwurf, der jetzt bald im Landtag beraten wird, dass wir uns eine Behörde aussuchen können, die das für uns gegen Bezahlung dann auch erledigen wird.

 

IITR: Was ist besonders problematisch bei diesem Abnabelungsprozess gewesen?

LfD: Es hat ein bisschen lange gedauert, bis das EuGH-Urteil aufgegriffen wurde, aber das Innenministerium hat schon am Tage nach der Urteilsverkündung praktisch die Rechtsaufsicht, die es vorher hatte, praktisch nicht mehr wahrgenommen. Das heißt, es wurde dort sehr schnell reagiert, und wir haben rechtlich keine großen Probleme; es geht ja im Endeffekt um die Umsetzung von EU-Recht, und da hat der Landtag gar keinen großen Spielraum. Er könnte jetzt nicht sagen: ,,Wir stellen uns das ganz anders vor, als es der EuGH gesagt hat.

 

IITR: Sagen Sie uns noch zuletzt, wann Sie mit dem Abschluss der Umsetzung des Urteils rechnen?

LfD: Wir haben auf die parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs keinen Einfluss. Nach den Informationen, die mir vorliegen, könnte das Gesetz bis zur Jahresmitte verabschiedet werden.

 

IITR: Herr Wahlbrink haben Sie vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit.

 

 

Autor:
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska, externer Datenschutzbeauftragter
Michael Stolze, LL.M. LL.M.

Telefon: 089-1891 7360
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Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska

Über den Autor - Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska

Herr Dr. Sebastian Kraska gründete die IITR Datenschutz GmbH, die auf den Bereich des betrieblichen Datenschutzes spezialisiert ist und als Anbieter von Datenschutz-Management-Systemen mehr als 2.500 Unternehmen bei der Bewältigung datenschutzrechtlicher Anforderungen unterstützt.

Herr Dr. Kraska selbst ist als Rechtsanwalt ausschließlich im Datenschutzrecht sowie gemeinsam mit Regionalpartnern als externer Datenschutzbeauftragter tätig und betreut dabei Unternehmen und Behörden. Er ist zudem Beirat der Zeitschrift ZD des Beck-Verlages.

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