Der Art.5 GG fordert Verantwortung
Heute findet sich in der Aachener Zeitung Ein Kommentar von Bernd Mathieu (zu finden unten) zur Frage “Was darf der Staatsanwalt? Was dürfen Medien?”. Hintergrund ist die Tatsache, dass auch Staatsanwälte sich zunehmend gerne in der Öffentlichkeit sonnen: Angefangen von Zumwinkel, der vor laufenden Kameras “abgeführt” wurde, bis hin zu Tauss oder einem gefallenen Engel. Anstatt eine kurze sachliche Erklärung abzugeben und sich dann auf die Ermittlungen zu konzentrieren, wird aktive Öffentlichkeitsarbeit geleistet, von der sich so mancher Politiker ein paar Scheiben abschneiden könnte. Besonders auffällig war es bei Tauss, der keine Erklärung abgeben konnte, ohne dass die Staatsanwaltschaft nicht kurze Zeit später darauf antwortete.
Nun ist das die eine Seite und Mathieu fragt: “Was aber sollen Medien tun, wenn es zu diesem Fall eine Erklärung der Staatsanwaltschaft […] gibt?”. Nun, ich antworte: Verantwortungsvoll handeln. Die Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaften & Co. kann ich heute in kürzester Zeit als Bürger im Volltext im Internet nachlesen. Eine Zeitung, die einfach nur abdruckt was ihr vorgelegt wird – und es tut mir leid: das macht die Durchschnittspresse nach meinem Empfinden heute, auch bei anderen Themen – brauche ich nicht zu lesen.
Auch wenn Mathieu sich muckiert, deutsche Gerichte würden es der Presse so schwer machen: Ja eben weil sie Verantwortung einfordern. Anders als behauptet, wird ja gerade nicht pauschal verboten oder erlaubt, sondern im Einzelfall geprüft, ob die Presse ihrer Verantwortung nachgekommen ist. Dass das ein Funken mehr Arbeit erfordert als das blinde abdrucken reißerischer Meldungen öffentlichkeits-heißer Staatsanwälte ist der Preis für das Grundrecht namens Pressefreiheit. Und wer gerade nicht reguliert werden möchte, nicht immer über ein “dürfen” nachdenken muss, der muss eben den Preis der Selbstverantwortung zahlen – wer das nicht tut, findet sich vor Gericht wieder.
Es ist entlarvend, wenn kurz vor Schluss der Satz kommt “Unter Betonung der Unschuldsvermutung”. Genau so kenne ich es nämlich: Betont wird die in der Tat gerne, wenn man wilde Spekulationen von Ermittlern abdruckt – immer mit einem netten “aber”, sei es ausdrücklich oder wenigstens zwischen den Zeilen. Ich erinnere mich zu verschiedenen Sachverhalten an Artikel, die ellenlang die Vorwürfe der Ermittler ausbreiten, um dann am Ende kurz anzufügen “Aber es gilt natürlich erstmal die Unschuldsvermutung”. Auch hier ist Verantwortung gefragt, z.B. die Verantwortung der Presse, die Bevölkerung zu erziehen, erst an die Unschuldsvermutung zu glauben und dann kritisch die Vorwürfe der Ermittler zur Kenntnis zu nehmen.
Es ist beileibe kein Zufall, dass der Durchschnittsbürger da draußen gerne meint “Naja, es muss ja was dran sein, sonst würden die nicht so einen Wind machen”. Wer bitte hat hier die Aufgabe verantwortungsvoll zu handeln, wenn nicht die Presse als meinungsbildendes Instrument der Öffentlichkeit? Diese Verantwortung aber lässt sich nicht mit Paragrafen erzwingen oder regulieren, man muss sie selbst entwickeln. Man muss selber mal den Mut haben, nicht der reißerischen Masse nach dem Maul zu reden und auch mal unbequeme Positionen zu vertreten. Wer das nicht kann, der sollte zumindest die fachliche Ausbildung und Fähigkeit haben, widerstreitende Argumente wertungsfrei auf beiden Seiten zu zeigen und den Leser bzw. Zuhörer abwägen zu lassen.
Das was Mathieu am Ende mit Blick in die USA fordert ist ein Freischein: Schnelles, blindwütiges Abdrucken behördlicher Meldungen soll geschützt sein, zu Lasten der Einforderung der Verantwortung der Presse für das, was sie wider gibt. Freilich schuldet er damit die Antwort auf die Frage, warum wir eigentlich noch eine Presse bräuchten, wenn die nicht mehr für unkritisch fehlerhaft recherchierte blind abgedruckte Meldungen einstehen muss.
Wenigstens ist er konsequent dabei, denn er schuldet – wahrscheinlich aus gutem Grund – eine Quellenangabe zu dem zitierten Spruch des Supreme Court. Nun, den kann ich nachreichen, denn es ist nicht nur Teil meiner Ausbildung sowas zu kennen, sondern Recherche gehört ebenfalls zum Handwerkszeug von Juristen: Es handelt sich um Cox Broadcasting Corp. v. Cohn, 420 U.S. 469 (1975), das Zitat findet sich auf Seite 495 und die Entscheidung gibt es im Volltext hier im Internet.
Das Interessante dabei: Mathieu hat hier entweder nicht sauber recherchiert oder verdreht das Urteil bewusst. Im Sachverhalt ging es nämlich nicht um Behauptungen einer Behörde, sondern um eine Tatsache, nämlich den Namen eines Opfers, der in einer Gerichtspublikation genannt und von der Presse aufgegriffen wurde. Hinzu kommt, dass die Entscheidung ausdrücklich und mehrfach die Bedeutung auf den konkreten Einzelfall beschränkt, also ausdrücklich nicht generelle Wirkung haben sollte und im Einzelfall wieder nachzuprüfen ist. Merkt man was: Auch da ist wieder die Kontrolle der Verantwortung der Presse im Einzelfall.
Es hilft nichts: Der Art.5 GG mit allen seinen Grundrechten ist kein Geschenkt, er ist ein hart erkauftes Recht und der Preis lautet Verantwortung. Ein Staat der gesetzlich genau regelt, wann man von einem Art.5 GG Gebrauch machen darf, wird ihn naturgemäß zerstören. Ebenso wie man den Gedanken des Art.5 GG zerstört, wenn man gar keine Anforderungen an ihn stellt. Und ich wundere mich, dass ich das ausgerechnet einem Journalisten erklären muss.
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