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Änderung des Art.35 GG geplant (Update)

06.10.2008

Bezeichnend, dass man auf den Webseiten des Bundesinnenministeriums und der Bundesregierung dazu keine Informationen findet: Die Bundesregierung plant, den Art. 35 GG zu ändern, um den Einsatz der Bundeswehr auch mit militärischen Mitteln auf dem Gebeit der Bundesrepublik Deutschland – außerhalb des Verteidigungsfalles – zu ermöglichen. Jedenfalls bei N-TV findet man dazu z.B. das hier:

Demnach sollen die Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe zur Abwendung außergewöhnlicher Unglücksfälle auch militärische Mittel einsetzen können. Dem Einsatz von Abfangjägern gegen ein nur mit Terroristen besetztes Flugzeug etwa wäre der verfassungsmäßige Weg eröffnet.

Der Artikel bei N-TV ist noch vom Samstag, nach meinen Informationen wurde am gestrigen Sonntag eine entsprechende Änderung (wahrscheinlich im Koalitionsausschuss) auf den Weg gebracht – der Entwurf selbst liegt mir (noch) nicht vor. (Die) Den üblichen (Propaganda) Populismus zitiere ich nur der Vollständigkeit halber:

Mit der Änderung soll eine Sicherheitslücke angesichts der terroristischen Bedrohung nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 geschlossen werden.

Mir graust ein wenig vor der Vorstellung, wie man die mutmaßlichen “Kofferbomber von Köln” mit militärischen Mitteln der Bundeswehr hätte stoppen wollen. Aber wenn das Wahljahr bevorsteht, wird das niemanden interessieren – weder die ca. 3 Millionen Bild-“Zeitungs”-Leser, noch die Politiker der Bundesregierung, die eher einen der eisernen Grundsätze des Grundgesetzes über den Haufen werfen, als das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich in das GG aufzunehmen. Interessant, dass für beides “gute juristische Argumente” angeführt werden von unseren Politikern.

Es zeigt sich wiedermal, dass meine Einschätzung, die ich schon in meiner Petition vertreten habe, richtig ist: Unsere Politiker gehen nur ans Grundgesetz, um unsere Rechte entweder einzuschränken oder leere “Staatsprinzipien” (Umwelt, Kultur, Sport) aufzunehmen. Sobald Sie etwas für uns aufnehmen sollen, kommt die Leier des “schlanken Grundgesetzes”. Wer es nachprüfen möchte, möge sich ein Grundgesetz nehmen und kontrollieren, wie viele neue Grundrechte von unseren Politikern seit 1949 geschaffen wurden: Nämlich keines. Und das trotz einer Fülle von Änderungen, die in jeder LEgislaturperiode stattfinden.

Update: Ich sehe gerade, dass bei der TAZ mehr Informationen zu finden sind. Beeindruckend dabei wieder, dass die Genossen der SPD eingeknickt sind:

Anders als von der SPD ursprünglich gefordert muss der Unglücksfall oder Anschlag nicht “unmittelbar” drohen; es genügt, dass die Polizei Indizien für einen zukünftigen Anschlag hat. Auch die zweite von der SPD einst geforderte Einschränkung entfiel. Eigentlich sollte die Bundeswehr nur zur Abwehr von Gefahren “aus dem Luftraum und von See her” eingesetzt werden. Jetzt ist auch der viel typischere Fall erfasst, dass Terroristen vom Boden aus agieren, also zum Beispiel einen Bahnhof in die Luft sprengen wollen.

Aber auch für die Demokratie klingt die neue Zukunft rosig, etwa wenn die TAZ überlegt, was man so tolles machen könnte:

Künftig könnte die Polizei im Fall einer Terrorwarnung gegen einen Staatsbesuch auch Panzer anfordern, zum Beispiel um Demonstranten in Schach zu halten, die Polizeimaßnahmen zum Schutz der Gäste behindern.

Aber, die SPD hat für ihr einknicken mit direkten Folgen für “das wesentlichste demokratische Grundrecht” (so das BVerfG zur Beurteilung der Demonstrationsfreiheit, scheinbar muss man heutzutage daran erinnern) auch große Zugeständnisse vom BMi erzielt:

Innenminister Schäuble verzichtet im Gegenzug auf Bundeswehreinsätze zum Objektschutz, gegen Piraten und im Quasiverteidigungsfall, die von der SPD abgelehnt wurden.

Das war ja eine (intelligente) Leistung.

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8 Kommentare zu diesem Beitrag:

Malte S.

Ich freue mich schon auf die ersten Meldungen von Übergriffen der Soldaten. Immerhin sind die nicht ausgebildet worden, um polizeirechtlich zu handeln und könnten bei einem aufgebrachten Mob leicht anders reagieren als es die Polizei tut.
Es bleibt natürlich immer die Frage, warum wir eine solche Möglichkeit überhaupt benötigen. Der Flugzeugabschuss dürfte auch danach verfassungswidrig sein. Ebenso kann die Bundeswehr natürlich nicht stärker eingreifen, als es die Polizei darf. Die erhöhte Schutzwirkung besteht - vorerst - wohl nur darin, dass mehr Personal zur Verfügung steht. Wir können uns aber wohl darauf vorbereiten, dass ein oder zwei Jahre später der Einsatz mit militärischen Mitteln im Inneren erlaubt wird.

Tim

Wenn ich mal ganz scheinheilig auf folgendes Bild verweisen darf...:

http://home.arcor.de/schroppyo/extern/germancensorship.png

Sollte das auch hier gegen irgendwelche AGBs verstoßen, löschen! ;)

Justus

Ich fürchte, dass mit der GG-Änderung auch der Versuch unternommen wird, von der Union als lästig empfundene bzw. einschränkende BVerfG-Entscheidungen auszuhebeln.

Malte S.

Passend wäre noch gleich ein Absatz IV für 35 GG:
"Die Eingriffsbefugnisse sind weit auszulegen. Alles Weitere wird vom Minipax bestimmt."

Dann wäre es vollends perfekt. Alleine der wunderbare Passus mit militärischen Mitteln ist schon Gold wert. Und dann noch die absolut lasche Tatbestandsvoraussetzungen... Wie kommt es eigentlich, dass Bürgerrechte immer sehr eng umrissen werden, während Eingriffsrechte weit gestrickt werden?

@Tim:

Das muss keine Zensur sein. Eventuell hat jemand eine Nachricht eingestellt, die woanders publiziert war und der Betreiber hat einen Verstoß gegen das Urheberrecht befürchtet.

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