Das Volkszählungsurteil ist eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983, mit der das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde etabliert wurde. Das Urteil gilt als Meilenstein des Datenschutzes. Anlass war eine für April bis Mai 1983 geplante, aufgrund des Urteils erst 1987 modifiziert durchgeführte Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland.
Kernaussage
Die Anerkennung des informationellen Selbstbestimmungsrechts als vom Grundgesetz geschütztes Gut begründet das Bundesverfassungsgericht aus der Gefährdung der freiheitlichen Grundordnung durch vom Betroffenen unbeherrschte Datensammlungen unter den Bedingungen moderner Informationstechnik. Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, passe aus Vorsicht sein Verhalten an (Panoptismus). Dies beeinträchtige nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit, sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe.
Die zentrale Stelle der Entscheidung (unter C II 1 a) lautet:
„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“
Weiter heißt es dort:
„Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“
Einschränkungen der informationellen Selbstbestimmung sind nur auf gesetzlicher Grundlage, beispielsweise gemäß Mikrozensusgesetz oder Bundesstatistikgesetz, zulässig. Ausdrücklich stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es „kein belangloses Datum“ gebe. Vielmehr bedürfe die Verwendung aller personenbezogenen Daten einer besonderen Rechtfertigung.